Fragen an Manfred Stockmann, Präsident des Call Center Verband Deutschland e. V.

  1. Contact Center müssen sich unter dem Druck der Kunden stetig weiterentwickeln. Welche Trends werden die Branche in den nächsten 1-3 Jahren maßgeblich verändern?

MS: In Zukunft müssen Unternehmen mehr denn je ihre Sichtweise verändern. Anstatt auf den Druck des Kunden zu reagieren, sollten sie den Kunden als Entwicklungspartner mit einbeziehen. Diese Arbeitsweise wirkt sich positiv aus für beide Seiten, da näher an den Bedürfnissen des Kunden entwickelt wird.
Als Trend wird – allerdings branchenunterschiedlich – die Automatisierung durch Bots weiter voranschreiten. Diese werden zunehmend intelligentere und smartere Anwendungen erlauben. Doch auch für die Servicemitarbeiter werden, durch KI unterstützt, arbeitsbegleitende Assistenten hinzukommen. Die wechselnde Kommunikation über synchrone und asynchrone Medien wird ebenfalls zunehmen und stellt erhöhte Ansprüche an die Verfügbarkeit aller aktuellen Dialoginformationen in Echtzeit.

  1. Genesys hat vor etwa einem Jahr die Übernahme von Interactive Intelligence bekannt gegeben. Wie haben Sie diesen Schritt wahrgenommen und wie sehen Sie die Entwicklung des Markts für Contact Center Software?

MS: Ich sehe das als einen konsequenten und logischen Schritt. Damit hat Genesys nicht nur seine Produktpalette abgerundet, sondern zugleich auch wertvolles Entwickler-Know-how hinzugewonnen. Insgesamt konnten so Synergien in der Entwicklung entstehen und eine klar gegliederte und umfassende Leistungsstruktur im Markt positioniert werden.

  1. Wie werden Verantwortliche im Kundenservice künftig die Balance zwischen Kosteneffektivität und steigenden Qualitätsansprüchen herstellen?

MS: Auch da gilt ein Perspektivenwechsel. Die wenigsten Unternehmen können heute konkret ausrechnen, welchen Beitrag zufriedene Kunden und eine wertschätzende Kundenbindung im Einzelkontakt zum wirtschaftlichen Ertrag beisteuern. Daher sehen sie Service als Kostenfaktor. Dabei gilt es, eine partnerschaftliche Sichtweise mit Dialogstärke zum Kunden hin anzustreben. Unternehmen werden so schnell realisieren, dass sie klassische Werbung reduzieren und zudem Marketing viel zielgenauer (also mit deutlich weniger kostenintensiven Streuverlusten) betreiben können. Dazu muss ganzheitlich gedacht werden – Silodenken führt zu falschen Schlüssen.

  1. Auch in deutschen Contact Centern steigt die Akzeptanz für Cloud-Technologien. Für welche Unternehmen eignet sich ein Cloud-Modell besonders gut?

MS: Zum einen ist es eine Philosophiefrage, ob man On-Premise oder Cloud bevorzugt. Denn Cloud-Lösungen sind, sofern keine rechtlichen Restriktionen vorliegen, von der Nutzbarkeit für alle Unternehmen möglich. Doch auch hier hat man verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten. Möchte ich die firmeneigene Cloud nutzen oder nutze ich den zentralen Service eines Dienstleisters, der mir Backups, Verfügbarkeit und immer neueste Versionierung abnimmt? Für die Entscheidung gibt es klar rationale Argumente, doch auch das nicht zu unterschätzende Bauchgefühl.

  1. Von Facebook bis Snapchat – in immer kürzeren Abständen kommen neue Kanäle hinzu, die auch für den Kundenservice relevant sind. Wie stellen Contact-Center-Manager sicher, dass sie auch in Zukunft neue Kanäle bedienen können?

MS: Da gibt es verschiedene Strategien, um entscheidungsfähig zu bleiben. Die eine ist, ich lebe und repräsentiere die Kundenstruktur in der eigenen Person und bin so auf dem Laufenden. Die andere ist, meine Mitarbeiter repräsentieren in ihrer Zusammensetzung die Kundenklientel, sprechen deren Sprache und wissen aus eigener Erfahrung und frühzeitig aus den Kundengesprächen, was gewünscht und genutzt wird. Dann sollte die Centerleitung so clever sein, die Entscheidung, Nutzungsmöglichkeiten und Umsetzung aus den Teams heraus entstehen zu lassen. Dies ist dann Bestandteil einer agilen Führungskultur. Es gibt noch eine dritte, allerdings aussterbende Variante: Ich nutze selbst kaum einen der Kanäle über die meine Kunden interagieren, ich spreche auch wenig mit meinen Mitarbeitern darüber, dafür engagiere ich Berater, die mir eine Entscheidungsvorlage aufbereiten.

  1. Cortana, Amazon Echo, Siri – der Markt für digitale Assistenten boomt. Welche Rolle spielen diese Schnittstellen künftig für den Kundenservice?

MS: Das kommt wohl auf die eigenen Kunden an. Doch es ist absehbar, dass diese Assistenten eine zunehmende Verbreitung über die unterschiedlichsten Haushalte erreichen. Das verändert die Kommunikation vom Kunden zum Unternehmen. Die Frage stellt sich, wie gelingt es als Anbieter bei der Interessentengewinnung hier möglichst als präferiertes Suchergebnis genannt zu werden und wie wollen meine Bestandskunden hierüber mit mir interagieren? Wie sind automatisierte, personalisierte und Live-Kontakte am besten im Angebot zu kombinieren?

  1. Genesys hat mit „Kate“ eine künstliche Intelligenz vorgestellt, die eine Anbindung an verschiedene AI-Systeme ermöglicht. Welche Bedeutung hat künstliche Intelligenz für das Contact Center der Zukunft?

MS: KI- oder englisch AI-Systeme werden die Arbeit im Kundenservice stark verändern. Die KI wird besser und schneller analysieren, antizipieren und Lösungsvorschläge anbieten können. Dabei geht es nicht darum, dass der Mensch gänzlich ersetzt wird. KI als virtueller Assistent des Menschen wird hier die Maßgabe sein. Die Herausforderung trifft in den Servicecentern dennoch die Bestandsmitarbeiter und Führungskräfte. Bisherige Rekrutierungen haben andere Eigenschaftsprofile angewendet als diejenigen, die künftig benötigt werden. Nun stellt sich die Frage, welcher Teil der Mitarbeiter kann die Entwicklung mitgehen und wie kann ich meinen Mitarbeitern diese Entwicklung ermöglichen und erleichtern? Das wird von Unternehmen zu Unternehmen sicherlich differieren. Allerdings stellt sich auch die Frage, welche zusätzlichen Anforderungen oberhalb der bestehenden Profile neu andocken müssen und wie man diese für die Contact Center gewinnen wird.

  1. Werden Kunden in fünf Jahren überhaupt noch mit menschlichen Service-Mitarbeitern kommunizieren?

MS: Auf fünf Jahre gesehen, ein ganz klares Ja. Und auch darüber hinaus bedürfte es einer komplexeren Technologie, die den Faktor Mensch komplett simulieren können müsste. Wir sehen das immer wieder: Egal, welche Medien zum Einsatz kommen, wo automatisiert wird, Self-Service angeboten oder FAQs in herkömmlicher oder bereits smarter Form zum Einsatz kommen, der Wunsch zum Dialog mit Menschen ist ungebrochen. Das liegt wohl auch daran, dass der Mensch ein Wesen mit Bedürfnis zum Sozialkontakt ist. Zudem ist Kommunikation mehr als ein Frage-Antwort-System und darin ist echte Empathie bisher noch immer eine rein menschliche Eigenschaft.

  1. Sie werden in absehbarer Zeit der Präsidentschaft des Call Center Verbands Deutschland den Rücken kehren und sich anderen Aufgaben zuwenden. Wie sehen Sie rückblickend die Entwicklung der Branche während ihrer Zeit beim Verband und was wünschen Sie sich für die Zukunft?

MS: Nun den Rücken kehre ich nach 14 Jahren weder dem CCV noch der Branche. Es geht für mich darum, mehr Freiräume für meine unternehmerischen Kernthemen „Organizational Change und Persönlichkeitsentwicklung für Führungskräfte“ zu gewinnen. Zudem steht ein erfahrenes Team für die Weiterentwicklung bereit.
Im Rückblick sehe ich eine Branche, die in gerade einmal 20 Jahren bereits mehrere Entwicklungszyklen erlebt hat. Von der reinen Telefonie zum Omni-Channel, von rein stationären zu komplett virtuellen Strukturmöglichkeiten, von stark hardwarebasierten On-Premise Systemen zu Cloud-Lösungen. Und ich sehe einen sich immer schneller entwickelnden Kundenbedarf. Wobei die Grundbedürfnisse letztendlich gleich geblieben sind, allerdings hat sich der Anspruch an Form und Zeit verändert.
Für die Zukunft wünsche ich dem CCV, dass er weiterhin so erfolgreich in der politischen Interessensvertretung vorankommt, die Themen der Zeit besetzt und eine führende Plattform für den Expertenaustausch bleibt.

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